Beileid heißt: dauernd dran bleiben!

Leider gibt es keine Regel dafür, wie viel Zeit Trauerprozesse benötigen. Eines ist jedenfalls sicher: Es ist sehr unterschiedlich! Meistens sind die Zeiträume für Betroffene viel länger als Außenstehende meinen und es zeigt sich oft, dass Beileid heißt: dauernd dran bleiben!

„Mein Mann ist jetzt seit 4 Monaten tot, und die meisten Menschen erwarten jetzt, dass ich wieder richtig funktioniere. Bei mir fängt die Trauer aber erst richtig an.“

Wenn Sie sich noch einmal daran erinnern wollen, benötigen viele Trauernde einige Zeit, um erst einmal zu verinnerlichen, dass „es“ passiert ist und später, dass es allen Beteiligten der Persönlichkeit wiederfahren ist. Der Volksmund sagt so schön: „Das muss ich erst mal sacken lassen“. Und das trifft es genau: Die Gewissheit des traurigen Geschehens sickert oft nur langsam in alle Bereiche unseres Gehirns und unserer Existenz ein. Gut vorstellbar, dass dies einige Zeit in Anspruch nehmen kann. Erst dann, nach der Realisierung des Verlustes, kann der Trauerschmerz in seiner ganzen Wucht gespürt werden. So kommt es zu der irrigen Annahme im Umfeld, es müsse ja schon wieder besser gehen, wenn der Betroffene das Gefühl hat: „Jetzt geht es erst richtig los!“

So war es auch bei Christian: Nach der Nachricht von Stefans Tod standen zunächst ganz praktische Dinge im Vordergrund: Er wollte sich um Stefans Familie kümmern und die Kommunikation zur Firma herstellen. Die wichtigsten Termine im Job mussten eingehalten werden, und ständig klingelte das Handy. Alle waren bestürzt und wollten Genaueres erfahren. Christian funktionierte auch drei Monate nach Stefans Beerdigung recht gut, und viele Freunde und Kollegen klopften ihm auf die Schulter: „Mensch Christian, deine Haltung bewundern wir sehr, toll, wie du das weggesteckt hast!“ Mit gemischten Gefühlen nahm Christian die Anerkennung an. An einem Abend saß Christian im Auto und fuhr an einem Biergarten vorbei, im Radio wurde der Sommerhit des letzten Jahres gespielt. Ganz plötzlich erinnerte sich Christian an das letzte Mal, als er mit Stefan gemeinsam dort nach einer Radtour ein Bier getrunken hatte: Nie wieder Stefans spöttisches Grinsen sehen, nie mehr sein Meckern hören, wenn die Berge zu steil waren, nie wieder Pokern bis spät in die Nacht, keine spontanen Discobesuche mehr, wenn er mal „familienfrei“ hatte. Wie aus dem Nichts wurde Christian von einer riesigen Welle der Trauer überschwemmt. Er hatte noch nie so geweint und war überwältigt von der Endgültigkeit des Todes. Er war sein bester Freund gewesen! So ungerecht, so sinnlos dieses Leben! Hätte es doch ihn erwischt, er hat ja keine kleinen Kinder! Warum nur?

Viele Trauernde wehren sich dagegen, in ihrem Leben zu schnell Normalität einkehren zu lassen. Soll denn der geliebte Mensch so schnell vergessen sein?

Trauer ist die Umkehr der Liebesfähigkeit
Du warst es wert, so sehr geliebt zu werden… Du bist es wert, dass so viel Traurigkeit geblieben ist…. an deiner Stelle. (Gitta Deutsch)


Bitte lassen Sie sich selbst und den Betroffenen Zeit zu trauern! Finden Sie Ihr richtiges Maß und werten Sie nicht. Es gibt keine Regeln, wie lange die „richtige Trauer“ sein darf! Solange sich etwas verändert, egal in welche Richtung, findet ein Prozess statt, und das ist lebendig. In dieser sehr intensiven Zeit des Wandels braucht es immer wieder Unterstützung und Anteilnahme. Trauern ist eher ein Marathon, der auch Rückschritte enthalten kann. Deshalb langsam angehen, um am Ende noch Kraft zu haben. Der Läufer benötigt nicht nur am Anfang Anfeuerung, sondern gerade ab Kilometer dreißig noch mehr Ermutigung und Erfrischung als demoralisierende Fragen, wie: „Was, Du bist immer noch nicht im Ziel? Jetzt wird es aber Zeit!“ Wie bei jeder Langstrecke heißt es dran bleiben, zäh bleiben, auch wenn es manchmal weh tut! Im Ziel wird es dann gut sein!

Nachzulesen in meinem Buch: „Wenn Kollegen trauern“ (Kösel, 2016)

Trauer im Unternehmen wahrnehmen, verstehen, begleiten
Über den guten Umgang mit Trauer am Arbeitsplatz

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