Glück in Zeiten der Trauer

21.10.2018

Viele Menschen, die einen schweren Schicksalsschlag erfahren, können sich nicht vorstellen, jemals wieder glücklich zu sein. Erst letztens in der Gruppe trauernder Eltern schüttelte eine frisch betroffene Mutter den Kopf und sagte: „Ich kann nie wieder lachen, das normale Glück gibt es für mich nicht“. Auch ein trauernder Mann fragte resigniert in meiner Beratung: „Wie soll ich jemals wieder glücklich sein?“ Für Menschen, die Schweres in Ihrem Leben ertragen müssen, scheint die Aussicht auf das gleißende, strahlende Glück, wie es von vielen „Glücksrittern“ in Form von Berater*Innen und Coaches versprochen wird, eher wie Hohn und Spott. „Das ist was für andere, nicht für mich“ entscheiden viele. Der „geborene Miesepeter“  und Journalist Dirk Gieselmann schreibt im Süddeutschen Magazin Stil Leben: „Glück allein macht nicht glücklich“. Was bedeutet also Glück in Zeiten von Leid, Schwere und Trauer?

Trauernde können in Gemeinschaft manchmal das zarte Glück von Verstandensein, von Verbindung, oder von Hoffnungsschimmer erleben, ein helleres Grau im Schwarz. Manchmal ist es unverhoffte Unterstützung, die das Herz ein bisschen wärmt, manchmal Dankbarkeit für eine liebe Geste,  die ein bisschen Geborgenheit entstehen lässt. Gieselmann schreibt, das Glück brauche den Kontrast, um erstrahlen zu können und ich glaube, er hat Recht. Es geht nicht um den Maximalwert von Glück, also nicht das Gleißende sondern um den Unterschied. In tiefster Dunkelheit reicht schon ein kleinstes Streichholz, um erhellend zu sein, den grellen LED-Scheinwerfer würden wir wohl gar nicht als angenehm empfinden.

Es gibt viele Möglichkeiten, den kleinen Schimmer des Glücks in der Dunkelheit zu erfahren: das Lösen von Beklemmungen, sodass Atmen wieder leichter  wird, oder ein kurzes Gefühl von: „Ich spüre meine Füße auf der Erde und bin ein Teil dieser Welt“, möglicherweise die Feststellung, dass der Kopf für eine Weile wieder klar denken kann.  Auch ein freundliches, aufmunterndes Lächeln der Kollegin, ein kleiner Kartengruß, ein warmer Händedruck, oder ein liebevoll gekochtes Essen können kleine Lichtblicke sein. Im normalen Tageslicht wären sie vielleicht gar nicht zu sehen, in düsteren Zeiten ist der Gegensatz vielleicht schon so groß, das er als erhellend und nährend wahrgenommen werden kann. Glücksempfinden hängt also von der Perspektive und vom Ausmaß der Veränderung ab. So stellt sich die Frage:

Wer wertet was Glück ist und was nicht? Wann ist „man“ wirklich glücklich?

Für mich kommt es auf die persönliche Wahrnehmung und auf die Sensibilität an. Seelisch schwer verletzte Menschen sind oft sehr empfindsam und sind deshalb sowohl für Leidvolles, als auch für Freudvolles besonders empfänglich. Das erhöht den Kontrast und ermöglicht auch ein Glücksempfinden auf einem Niveau, das von anderen Menschen manchmal gar nicht nachvollziehbar ist. Die Farben der ersten Frühlingsblüher, der Geruch nach Schnee, der harmonische Klang eines Musikstückes können Glücksgefühle auslösen wenn sie das erste Mal nach langer Durststrecke wieder froh empfunden werden können. Denken Sie auch an die ersten Schritte, die ein Mensch wieder ohne Gehhilfen oder nach langer Krankheit bewältigen kann, oder der Geschmack des ersten Apfels nach einer Fastenkur.

Manchmal kommt das kleine Glück einfach so dahergeflogen, es ist das kurze Empfinden von Stimmigkeit, von Verbundenheit, von „ja, so ist es richtig in mir und in der Welt“. Sobald man es festhalten will, ist es schon wieder vorbei. Das ist vielleicht auch gut so, denn sobald die Gewöhnung eintritt, bräuchte es mehr, um gleich glücklich empfinden zu können.

Freuen wir uns also über  den Moment des flüchtigen Glücks, wie ihn Herman Hesse beschreibt:

 „den Zustand des still lachenden Eins-Seins mit der Welt, der absoluten Freiheit von Zeit, von Hoffnung und Furcht, der völligen Gegenwärtigkeit“